Vielleicht mal eine Anekdote

Was passiert, wenn man als junger Mann mit einer Frauenzeitschrift unterm Arm in ein Flugzeug steigt? Philip Ceglarski, Schauspieler in unserem Projekt Love me Gender?, hat sich so seine Gedanken gemacht.

Ich erinnere mich daran, wie ich letzten Herbst mit dem Flugzeug zu einem Termin gereist bin. Beim Einsteigen liegen da dann ja immer diese kostenlosen Zeitungen und Zeitschriften. Focus Money, die tz, irgendwelche Zeitschriften über Autos, die Frankfurter Allgemeine und wasweißichnichalles.
 
Und wer das kennt, der weiß: Auch wenn die interessantesten Sachen schon vergriffen sind, nimmt man sich trotzdem immer irgendwas von dem, was noch übrig ist. Einfach aus Prinzip.

In meinem Falle war es die Brigitte.

Komm… nimm sie mit, dachte ich mir. Kannst du zur Not Mama geben, die löst dann das Kreuzworträtsel oder sowas.

Aber schon beim Zugreifen erwische ich mich dabei, dass ich ganz hurtig bin und mich auch vorsichtig umschaue und prüfe, ob das jetzt auch ja niemand sieht, dass ich – als junger Mann – da eine Frauenzeitschrift mitnehme. Mir ist das, um ehrlich zu sein, sogar ein wenig unangenehm und dabei reden wir hier nur über so etwas Banales wie eine Zeitschrift.

Ja. Auf dem Weg ins Flugzeug springt mir dann, als ich sie gerade in meinen Rucksack stopfen möchte, eine der Schlagzeilen auf der Brigitte ins Auge: „Gesünder leben und ernähren. Zehn Tipps, wie Sie sich Ihr Leben lang in Ihrem Körper wohlfühlen und bis ins Alter sexy bleiben.“

Soso.

Ich packe die Zeitschrift ein, sie ist ja schließlich nicht für mich gedacht, muss mir aber eingestehen, dass mich diese Schlagzeile irgendwie… anspricht. Und auch nicht wirklich loslässt. Weil das ist ja was, das einen auch als Mann durchaus interessieren könnte, denke ich.

Ich meine, es ist ja schließlich nicht uninteressant zu wissen, warum die einhellige Meinung dahingeht, dass z.B. George Clooney von Jahr zu Jahr attraktiver wird. Aber wenn man jetzt etwa die Rocky-Filme schaut, dann fragt man sich ja zwangsläufig, was verdammt nochmal eigentlich bei Sylvester Stallone schief gelaufen ist.

Gerade ich als Mann kann da ja einiges lernen, denke ich.

Ich beschließe, dass ich auf jeden Fall gesünder leben will als Sylvester Stallone, und auch bis ins Alter sexy bleiben möchte, und überlege mir also, dass ich nur für diese zehn Tipps vielleicht eine Ausnahme mache, diese lesen werde, und die Zeitschrift danach sofort aus den Händen lege. Muss ja nicht jetzt sein. Irgendwann vielleicht, wenn Mama das Kreuzworträtsel durch hat und bevor sie im Altpapier landet, dann kann ich sie ja nochmal lesen, wenn niemand zu Hause ist.

Ich steige ins Flugzeug ein, und gehe zu meinem Sitzplatz. Einen Fensterplatz gab‘s leider nicht mehr, deshalb muss ich mich mit dem mittleren Sitz in einer Dreierreihe zufrieden geben. Links und rechts neben mir zwei Männer, ungefähr in meiner Altersklasse. Den einen schätze ich auf den ersten Blick etwas älter, den anderen vielleicht sogar noch etwas jünger.

Mein Gepäck verstaue ich, bloß meinen MP3-Player und einen Pullover behalte ich bei mir – ach ja, und eben doch die Brigitte, die hab ich zwischenzeitlich schnell noch aus dem Rucksack geholt. Eigentlich aber nur für den Fall der Fälle. Ich meine, ich würde dem Ding jetzt sowieso keine weitere Beachtung schenken können, dafür ist der Flug einfach zu kurz. Es ist nur schön, Lesestoff in der Hand zu halten. Machen ja alle so, wenn ich mich hier so umsehe.

Ich sitze also, warte auf den Start, und es vergehen so circa 20 Minuten. Trotz der guten Musik auf meinen Ohren und dem abwechslungsreichen Werbefilmchen, der da auf den Kabinenmonitoren vor sich hinflimmert, schweife ich mit meinen Gedanken immer wieder zu diesen zehn – möglicherweise wertvollen – Tipps, die da in meinen Händen schlummern. 

Das neue Werbegesicht der Fluggesellschaft ist übrigens ausgerechnet Sylvester Stallone, wie ich im Verlauf des Filmchens feststellen muss und ich finde, dass diese zehn Tipps für mich von Minute zu Minute mehr an Brisanz gewinnen und ich sie definitiv zeitnah lesen sollte, weil man offenbar gar nicht früh genug mit einem gesünderen Leben anfangen kann, wie mir gerade vor Augen geführt wird.

Als ich die Zeitschrift in meiner Hand so begutachte, merke ich, dass mittlerweile eine leichte Wut in mir aufsteigt: Ich meine, ich frage mich dann doch, warum solche durchaus relevanten Ratschläge nur einem Geschlecht vorbehalten sein sollen. Kann doch sein, dass diese zehn Tipps bei mir genauso anschlagen bzw. Wirkung zeigen und ich, sofern ich sie beherzigen kann, dadurch ein langes und vor allen Dingen erfülltes Leben haben würde.

Während ich da so still in mich hinein wüte, halte ich die Zeitschrift die ganze Zeit in meinen Händen, und rolle sie immer wieder zu einem Bündel zusammen. Hin und wieder blättere ich mit den Fingerspitzen daran herum, und 
 ich erinnere mich nicht mehr genau – aber: Plötzlich schlage ich, ohne weiter darüber nachzudenken, die erste Seite auf. 

Und das sogar ziemlich offensichtlich, wie ich bemerke, denn ich halte sie die ganze Zeit total geistesabwesend, relativ ungeniert auf meinem Schoß, so dass ich von dem rechts neben mir sitzenden, ziemlich durchtrainierten und vom Oberarm herab bis an den Rand seiner Fingernägel tätowierten und noch dazu leicht… sagen wir… „männlich riechenden“ Herren, der meinen ganzen, bestimmt schon 10 Minuten andauernden innerlichen Kampf in seiner Gänze mitbekommen hat, ein verächtliches Lächeln kassiere, während er in seiner Men’s Health blättert, die er wohl noch in dem Gratis-Zeitschriftenständer erwischt hatte.

Auf seiner Men’s Health prangt in großen roten Lettern die Headline „Potenz steigern und im Bett noch länger durchhalten“, und ich bekomme unweigerlich das Gefühl, dass ich es mit meiner Brigitte gar nicht so schlecht getroffen habe. In diesen Männerzeitschriften steht irgendwie auch immer derselbe Scheiß.

Dennoch leicht von seinem verächtlichen Lächeln angepisst, versuche ich mir gerade einzureden, dass der Blödmann es vielleicht genau aufgrund dieser Headline nötig hat, die Zeitschrift zu lesen, doch werde ich schon im nächsten Moment abrupt von der Flugbegleiterin aus diesem süffisanten Gedanken herausgerissen, als diese kontrollieren will, ob ich denn für den Start angeschnallt sei. Erschrocken wuchte ich, relativ ungeschickt, kurz meine Brigitte hoch, um der Dame meinen geschlossenen Sitzgurt zu demonstrieren, wobei ich damit dem links neben mir sitzenden Herren - ein eher hagerer Hipstertyp mit riesengroßer Nerd-Brille in seinem gefühlt nur aus Bart bestehenden Gesicht - fast sein iPad aus der Hand schlage.

Sorry, sage ich knapp, als er langsam an mir hochschaut und mich anscheinend das erste Mal als seinen Sitznachbarn wahrnimmt. Er sagt nichts. Er lächelt mich bloß eigenartig schief an und nickt dabei vielsagend, als er meine Brigitte mustert, welche ihn da gerade aus der Lektüre seines E-Books gerissen hat. 

Für den Bruchteil einer Sekunde, meine ich auch zu bemerken, dass er mir sogar zuzwinkert.

In diesem Moment habe ich das Gefühl, mich mit sämtlichen missverstandenen Seelen dieser Welt solidarisieren zu müssen. Darf man heutzutage noch nicht einmal mehr als Mann eine Frauenzeitschrift bei sich führen, ohne dass Rückschlüsse auf die Sexualität gezogen werden? 

Ich meine, das weiß doch sogar ich, dass das zwei ganz verschiedene Paar Schuhe sind!

Jetzt erst recht, denke ich. 

Voller Trotz schlage ich die – zwischenzeitlich ziemlich abgegriffene – Brigitte auf und reiße dabei vor lauter Wut fast die ersten 20 Seiten raus. Als hätte es das Schicksal nicht anders gewollt, lande ich genau auf der Seite mit den zehn Tipps, wie man gesünder lebt und bis ins Alter sexy bleibt. Ein ungewolltes „Aha!“ entfährt meinen Lippen, als ich mit den Fingern demonstrativ Zeile für Zeile abfahre und beginne, den Artikel regelrecht zu verschlingen. 

Diese Tipps sind wirklich sinnvoll. Ganz ehrlich. Ohne das ironisch zu meinen.

Ich lerne alles über die gesunde Wirkung von Avocados, von Gurkenmasken und Leinsamen, aber eben auch über den Verzicht auf Drogen, Tabak und den Konsum von Alkohol in Maßen. Und auch darüber, dass man mit Liebe, Harmonie und einem vorurteilsfreien Blick auf seine Umwelt so mit sich selbst ins Reine kommen kann, dass man bis ins Alter für seine Mitmenschen attraktiv und sexy bleibt.

Und dabei wird mir eins völlig klar, weil ich es erst durch ein verächtliches Lächeln, und dann durch einen Trugschluss auf meine Sexualität am eigenen Leib erfahren habe: 
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gewinnt gerade der letzte Punkt – der vorurteilsfreie Blick – an unbestreitbarer Relevanz.

Ich meine, wie viele Probleme könnten wir von vornherein im Keim ersticken, wenn wir in unserer Gesellschaft mal davon ausgehen würden, dass Mann und Frau eben im Kern nicht sooo unterschiedlich sind, dass man dem einen Geschlecht jene Interessen unterstellt, und dem anderen ganz andere. Und diese dann teilweise sogar noch – beispielsweise durch einen Titel wie „Brigitte“ – so dämlich brandmarkt, dass sie von den meisten Menschen Zeit ihres Lebens als natürlich gegeben angesehen werden.

Aber dieser vorurteilsfreie Blick würde doch allen eine Menge Ärger ersparen, und einige Themen in unserer Gesellschaft überflüssig machen, über die sich sowieso jeder insgeheim ärgert. Und es muss sich auch keiner Sorgen machen: Unsere Individualität bliebe uns ja ungenommen.

Und schließlich müsste auch niemand mehr so einen albernen Kampf mit sich führen wie ich, um nach der Brigitte zu greifen. 

Womöglich könnte sie ja dann – sobald diese hochstudierten Heinis in ihren hinterwäldlerischen Redaktionen nämlich durch das Erheben von irgendwelchen bescheuerten Statistiken merken, dass nicht mehr nur das mit der Zielgruppe übereinstimmende Geschlecht ihre Zeitung liest, und diese keine geschlechtlichen Unterschiede mehr manifestieren müssten 
 auch „Alex“, „Michelle“ oder „Chris“ heißen.

Das wär doch mal ein…

...fortschrittlicher Rückschritt.

Noch mehr zu Love me Gender? erfahren? Die DramaturgInnen der Produktion haben während des Produktionsprozesses in einem eigenen Projektblog Material gesammelt.

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