Ich sitze in einer Ecke. Neben der Publikumstribüne. Publikumstribünen. Denn in unserem Musical Ordinary Days sitzt man als Zuschauer ja mitten im Geschehen auf vier verschiedenen Podesten. Eben habe ich mich durch eine wartende Menschenmasse gewühlt, mich an den Einlassdiensten vorbeigekämpft, an drei verschlossenen Türen gerüttelt bis ich endlich durch einen obskuren Seiteneingang auf die große Bühne gekommen bin. Um möglichst vielen Leuten einen Einblick in die Probe zu ermöglichen, sind wir nämlich aus dem kleinen Aka Studio, in das 60 Menschen passen, in Aka Mitte gelandet. Ein Raum, in dem 250 Zuschauer Platz finden.
Unsere Probebühne ist hier aufgebaut, das heißt: abgeklebte Treppen, ein Flügel und 2 schwarze Bühnenpodeste. Noch ist nicht viel vom durchdachten Bühnenbild zu sehen, das sich wie ein Labyrinth über, um und hinter den Zuschauer schlängelt.
Die vier Musical-Studenten haben ihre Probekostüme angezogen, sehen sich im Raum um, in dem sie erst heute vormittag zum ersten Mal geprobt haben. Es ist ungewöhnlich, so früh schon ein Testpublikum in eine Probe einzuladen – eine Situation in der an manchen Stellen der Text nicht sitzt, Zusammenhänge noch nicht ganz klar sind und noch viele Änderungen möglich sind. Es fordert ziemlichen Mut von unseren Darstellern, etwas Unfertiges zu zeigen!
Und plötzlich erlebe ich etwas Erstaunliches: das Musical atmet, lebt auf einmal. Die Energie auf der Bühne ist mit keiner Probe zu vergleichen. Das Bühnenbild verändert sich, vibriert, reagiert und auf einmal leben die Figuren, Warren, Deb, Claire und Jason. Hinterher erzählen mir Johannes Osenberg und Wiebke Isabella Neulist, dass das Wechselspiel mit dem Publikum die Figuren viel realer macht. Der Blick der Zuschauer orientiert sich an anderen Details als das Auge des Regisseurs. Ein klarer Kopf… und man spielt nur noch.
Anders als auf der normalen Probe. Hier gibt es immer wieder Stopps, der Text wird genau analysiert: „Was heißt dieser Teilsatz? Wieso sagt sie das?“ Man springt hin und her zwischen Darsteller und Figur um dieses hohe Maß an Selbstreflexion leisten zu können. Es wird an einzelnen Nummer gearbeitet, in einem Raum, der viel kleiner als das Original ist. Das Regieteam hält eine Lupe auf jedes Wort, jede Silbe ist mit Präzision auf die Musik abgestimmt.
Ordinary Days ist ein Kammermusical mit vier Darstellern, keinen großen Tanznummern, da ist es wichtig herauszuarbeiten, wie die Beziehung von Claire und Jason aussieht, wie unsere Darsteller Miriam Neumaier und Timothy Roller sich positionieren, wo Deb auftritt und wie trocken oder albern Warrens Humor ist. Auf der alltäglichen Probe verliert man sich manchmal im Detail.
Aber hier auf meinem Platz zwischen dem Testpublikum merke ich: es gibt jetzt schon viel Gelächter, viele Momente der Ehrlichkeit und ab und zu das Gefühl, den Alltag, den Ordinary Day hinter sich zu lassen.