Als nach knapp vier Stunden auf dem Deck der Fähre, im Wolkendunst, diese majestätische Bergkulisse der Insel Korsika vor mir erscheint, wird mir klar: Das ist ein ganz besonderer Ort für einen Workshop. Am Hafen von Bastia sehe ich bereits François, einen Mitarbeiter von L'Aria. Er fährt mich zu dem 800 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Bergdorf Olmi-Cappella. Traditionell in einem Citroën geht es über Serpentinen, Stock und Stein die löchrige Landstraße entlang. Kaum an der Herberge (einer alten Schule) angekommen, geht es weiter zum Naturschutzgebiet im Wald, wo ich die bunte Truppe aus Chile, Frankreich, Polen, Taiwan, Schweden und Finnland kennen lerne. Danach springen wir gleich in den eiskalten Bergbach – bei 28 Grad und blauem Himmel die perfekte Abkühlung. Außerdem komme ich mit den Workshopleitern Serge Nicolaï und Alejandra Rojas Pinto ins Gespräch.
Am nächsten Tag geht es um Punkt 9:15 Uhr mit unserem Kleinbus zum Theater. Ein großer Kubus aus Naturholz steht da mitten im Maronenwald und ein großer Berg thront bei dieser Kulisse im Hintergrund. Jetzt wird mir klar, wieso man mit europäischen Fördergeldern mitten im Nirgendwo ein Theater baut. Es gibt hier nur das. Keine Ablenkung. Keine Stadt. Eine Flucht scheint unmöglich. Hier hat man einen magischen Ort der Begegnung geschaffen. Wir öffnen die 2x1 Meter großen Fenster und das Bergmassiv begleitet unsere "Morning Class". Es ertönen traditionelle chilenische Gesänge und wir erlernen den "Morenada"-Tanz. Hierbei arbeiten wir mit verschiedenen Körperzentren und Geschwindigkeiten im Raum, dehnen und massieren uns und werfen uns gegenseitig Stöcke zu. Mal mit Dialog, mal ohne. Wachheit, Konzentration, Blickkontakt und vor allem das Reagieren werden geschult. All das soll uns auf die Arbeit mit den Masken vorbereiten. Gegen 13 Uhr gibt es dann endlich Mittagessen. Auch für Vegetarier gibt es hier weißen Tiefkühlfisch mit verschiedenem Tiefkühlgemüse (Möhrchen, Erbsen und Bohnen). Mir wird schnell klar, dass ich die nächsten zwei Wochen noch eine ganze Menge Fisch zu mir nehmen soll.
Nachmittags gegen 14.15 Uhr fährt der Bus zurück ins Theater. Dort werden wir nun mit den balinesischen Masken bekannt gemacht, packen alle aus und legen sie auf den Tisch. Serge bittet uns, nun jede Maske kennenzulernen. Dabei wird es schrill und laut, Tiergeräusche und nicht näher definiertes Brummen und Brabbeln erfüllen die Bühne. Da zeigen sie sich nun endlich: die Schauspieler.
Es wird viel improvisiert. Musik begleitet sehr oft die Szenerie und es muss viel gewagt werden, um den unterschiedlichen Masken Leben einzuhauchen. Dazu bedarf es einer hohen Körperspannung und eines unbedingten Willens, der Maske "zu dienen". Die tägliche Hitze ist uns dabei ein steter Begleiter.
Abends entdecken wir die beste Bar im Dorf (es gibt auch nur zwei zur Auswahl). Ein frisch gemixter Mojito, mit handgeschlagenem Eis und Minze aus dem Garten entlohnt für den anstrengenden Tag. Und das alles auch noch unter fantastischem Sternenhimmel bei lauwarmen Temperaturen, Milky Way inclusive.
In den nächsten Tagen intensivieren wir die Arbeit und gehen jedes Mal ein kleines Stückchen weiter. Wir proben an Szenen aus Ibsens Peer Gynt und entdecken unsere Version von Lost in Translation. Englisch zu sprechen ist nämlich ein sehr dehnbarer Begriff und deshalb entscheiden wir uns für einen kunterbunten Sprachenmix: wir spielen Szenen auf Deutsch, Spanisch, Französisch, Chinesisch, Finnisch und Polnisch. Unsere Gehirne arbeiten auf höchster Taktung daran, das Gesprochene richtig einzuordnen. Die Ohren lauern mit Höchstspannung auf ihr "Stichwort" und manchmal verschlägt es einem dann doch die Sprache.
Viel Lachen, die eine oder andere Träne und literweise Schweiß stecken in unserer kleinen einstündigen Abschlusspräsentation. Nach dreizehn spannenden Tagen geht ein lehrreicher Workshop auf Korsika zu Ende. Mit Mojitos, Masken und Mut.