Masken, Mieder und Muße – ein Besuch bei unserer Kostümabteilung in Zeiten von Corona

Seit nunmehr sechs Wochen hat die Theaterakademie August Everding geschlossen. Fünf studentische Produktionen, die in den Wochen von Mitte März bis heute Premiere gefeiert hätten oder mit ihrer Probenarbeit beginnen wollten, mussten abgesagt werden. Somit fiel auch die Arbeit an den Kostümen weg. Dennoch herrscht in der Kostümwerkstatt reger Betrieb. Wir haben uns mit Elisabeth Funk, der Leiterin des Kostümwesens und ihren Mitarbeiterinnen Karin Kirschenbauer, Anke Friedrich und Christina Vogel unterhalten und sie gefragt, was sie während der Krise tun und welche Arbeit anfällt, obwohl das Theater gerade eine Zwangspause einlegen muss.

Die Nähmaschine surrt, es wird geheftet, angepasst und abgemessen – in unserer Kostümabteilung mag es für einen Laien beinahe nach normalem Betrieb aussehen. Doch bei näherem Hinsehen fällt auf, dass auch hier einiges anders läuft, seit die Coronakrise den Alltag beherrscht. Stoffrechtecke werden zugeschnitten und Gummibändchen vorbereitet, um sie zu handgenähten Mund-Nasen-Masken zu verarbeiten. Auf den Tischen türmen sich bereits Kisten mit den bunten Textilmasken.

Wie an vielen Theatern stellt auch Ihr Masken her. An wen werden diese Masken später verteilt?

EF: Bisher haben alle unsere Mitarbeiter*innen aus Verwaltung und Technik eine Maske bekommen. Wir hoffen ja sehr, dass wir in absehbarer Zeit zu einer Normalität zurückfinden und da kann es gut sein, dass dann alle Masken tragen müssen (Anm. d. R.: Das Interview wurde vor dem Beschluss der Bayrischen Staatsregierung über eine Maskenpflicht geführt.). Da es ja auf dem Markt zu wenige gibt, wollen wir auf jeden Fall bereit sein. Deswegen machen wir jetzt noch einmal einen großen Schwung neue Masken für alle Studierenden und Dozent*innen. Es soll nicht an einer fehlenden Maske scheitern, dass man nicht in die Theaterakademie kann.


Masken für alle Mitarbeitenden, Studierenden und Dozierenden hört sich nach einer Menge an. Wie viele Masken stellt Ihr denn insgesamt her?

EF: Wir haben nie eine offizielle Zahl bekommen, aber es geht im Augenblick nicht mehr darum, fünf Masken zu nähen – wir reden jetzt schon von großen Stückzahlen. Für unser Haus wurden vorerst 200 Stück angefragt. Ich rechne jetzt so, dass wir circa 300 Masken in Petto haben. Dann sind wir gut vorbereitet, je nachdem was entschieden wird.

Außer den Masken sehe ich hier noch weitere Werkstücke. Was hat es damit auf sich?

EF:
Neben den Masken stellen wir gerade auch noch historische Brettmieder her. Das sind Untermieder, die wir in verschiedenen Größen und aus unterschiedlichen Materialien anfertigen, denn im Fundus haben wir davon kaum Exemplare und die vorhandenen stammen aus einer Produktion vor 15 Jahren. Sie sind mittlerweile einfach sehr abgenutzt. Die Herstellung der Mieder ist wahnsinnig zeitaufwendig, sodass man diese nicht einfach schnell zwischendurch anfertigen kann, wenn es Bedarf gibt. Diese Kostüme lägen niemals in dem Stundenbudget von beispielsweise einem Regieprojekt. Wir brauchen für ein einziges Untermieder drei ganze Arbeitstage – und das Untermieder ist ja eigentlich nur die Unterwäsche. In normalen Zeiten wäre dafür niemals die Zeit. Unsere Kollegin Karin Kirschenbauer hat außerdem schon öfter solche Mieder hergestellt und ist sehr erfahren. Deshalb haben wir gesagt, wir nutzen die Gunst der Stunde, die Zeit zu haben, sich auch einmal solchen Dingen zu widmen. Man muss das einfach einmal gemacht haben, damit man weiß, wie man an so eine Sache herangeht.


Also ist es für Euch im Moment auch einmal schön, mehr Zeit zu haben?

EF: Ja, jetzt haben wir keinen laufenden Betrieb, das heißt, jetzt kann man sich auch einfach mal hinsetzen, etwas Besonderes machen und voneinander lernen. Sonst sage ich immer, wir müssen schnell noch dies und jenes vorbereiten, hier ist ein Knopf abgegangen, hier muss noch etwas geändert werden…
AF: Ja, Muße für so etwas zu haben und wieder dazuzulernen, das ist natürlich schon toll.
EF: Wir haben schon immer gesagt, dass wir eigentlich gerne eine Fortbildung in der Herstellung historischer Mieder machen würden. Zwar können wir aufgrund des Coronavirus keine*n Dozent*in holen, die*der uns in der Miederherstellung schult, dennoch haben wir nun die Zeit, voneinander zu lernen und so Kostüme herzustellen, die man auf jeden Fall brauchen kann. Selbst wenn die Mieder nicht gleich im September oder der nächsten Spielzeit nachgefragt werden – irgendwann kommt jemand und fragt nach Miedern für eine nächste Opern- oder Schauspielproduktion.

Die freigewordene Zeit zu nutzen, um Neues zu lernen ist wirklich eine gute Idee.

KK: Ja, und das Schöne bei uns ist gerade, dass wir einfach produktiv bleiben können – dass wir nicht einfach irgendetwas machen müssen oder uns irgendwie beschäftigen sollen, sondern dass man jetzt vor allem mit den Masken auch etwas beitragen kann. Das können die anderen Abteilungen im Haus nicht unbedingt. Die können aufräumen, putzen, Inventur machen, renovieren, vielleicht auch ein Bühnenbild im Voraus bauen, aber irgendwann ist das auch erledigt. Vor allem wenn kein Publikumsverkehr ist, wenn die Studierenden nicht kommen. Bei uns ist es im Fundus ja auch so. Irgendwann gibt es nichts mehr zu räumen, denn wenn kein*e Student*in kommt, der*die es liegen lässt, dann kann man auch nichts wegräumen.

Bringen die Einschränkungen denn auch Probleme für Eure tägliche Arbeit mit sich?

KK: Naja, wir sind schon dahingehend eingeschränkt, dass man einfach Acht gibt, genügend Abstand zu halten. Unsere Werkstätte ist auch nicht riesig. Wir können zurzeit eben nicht einfach einer Kollegin über die Schulter gucken oder nebeneinander sitzen, um gemeinsam etwas zu erarbeiten. Auch das Erklären muss jetzt aus der Entfernung funktionieren. Das ist schon ein Unterschied, aber das ist ja im Alltag überall so. Man gibt einfach Acht aufeinander.
EF: Dadurch, dass wir bis auf drei Mitarbeiterinnen alle in Teilzeit angestellt sind, achten wir natürlich auch darauf, dass wir versetzt arbeiten. Wir haben eine Kollegin, die zur Risikogruppe gehört und deshalb zu Hause ist. Sie beliefern wir dann einfach mit Masken oder auch historischen Kostümteilen, die sie von dort bearbeitet. Wir haben da einen großen Vorteil, denn vier unserer Mitarbeiterinnen haben richtige Werkstätten zu Hause, die unserer Werkstatt eigentlich in nichts nachstehen. Das ist sehr viel wert, nicht einfach nur eine Koffernähmaschine zu haben, sondern richtiges Werkzeug.


Und wie geht es Euch mit dieser außergewöhnlichen Arbeitssituation, die teilweise sogar aus dem Homeoffice stattfinden muss?

EF: Ach, die Studierenden fehlen einfach. Zwei Wochen war das jetzt ganz schön, mal etwas Ruhe zu haben, um Arbeiten wie die Mieder zu erledigen oder den Fundus aufzuräumen aber, das Leben … – Wie überall fehlt das Leben! Wenn man durch die Straßen geht, denkt man immer, es ist Mitternacht, nur eben hell und so ist es hier ja auch. Man fühlt sich, als wäre man abends hier, denn es ist einfach nichts los. So ein bisschen mehr Leben könnte es jetzt schon auch bei uns wieder geben. In normalen Zeiten hat man einfach einen ganz anderen Umsatz. Aus unserem Fundus werden an einem einzigen Öffnungstag für gewöhnlich mindestens 50 Kostümteile ausgeliehen oder wieder zurückgegeben. Diese müssen dann gewaschen und manchmal repariert werden oder kleine Änderungen sind nötig. Ein anderes Beispiel sind die Kostümanproben. Normalerweise stellen wir Kostüme für die Produktionen her und dann probiert man die Kostümteile natürlich an den Darsteller*innen an. Jetzt müssen wir die Kostüme und Mieder an uns anprobieren. Das ist schon nochmal anders.


Auf was freut Ihr Euch denn am meisten, wenn es endlich wieder losgeht?

AF: Ich freue mich wieder auf Produktionen und darauf, zielgerichtet auf etwas hinzuarbeiten und ein Endprodukt zu erschaffen.
EF: Ich finde auch, zu wissen, für was man arbeitet, ist gut. Es ist zwar auch schön, mal so etwas zu machen, aber es ist einfach ein Jammer, dass die ganzen bereits geplanten Produktionen nicht auf die Bühne kommen.

Gutes Stichwort! Was wurde denn aufgrund von Corona alles abgesagt und damit nicht gesehen?

Alle: ALLES!
EF: Wir hatten wirklich sehr, sehr schöne Kostüme für die Musiktheaterproduktion A MIDSUMMER NIGHT‘S DREAM und wir waren eigentlich fertig – natürlich kommen in den Endproben noch ein paar Sachen dazu –, aber es war natürlich alles schon sehr gezielt von Frank Schlössmann, dem Kostümbildner der Produktion, mit uns abgesprochen. Im Großen und Ganzen stand die Sache. Wir hatten beispielsweise schöne 50er Jahre-Kleider in schwarzer Paillette für die Feen und Oberon wäre in einem Paillettenanzug mit Mieder aufgetreten. Also es war schon ein sehr stimmungsvolles Kostümbild, viel Paillette. Dann auch wieder die witzigen Handwerker, die ganz anders gewesen wären. Die meisten Kostüme waren nicht einfach von der Stange, sondern bis auf wenige alle extra hergestellt.
CV: Auch für den Musical-Abend PALAST DES LÄCHELNS im Deutschen Theater waren wir auf einem guten Weg. Das wäre einfach ein schöner, musikalischer Abend geworden.


Was passiert denn nun mit den Kostümen?

EF: Wir hoffen ja sehr, dass die ausgefallenen Vorstellungen vielleicht noch nachgeholt werden. Deshalb bewahren wir die Kostüme vorerst in unserem Vorstellungsfundus auf. Man weiß ja nicht, was kommt und in welche dispositorischen Lücken wir mit den abgesagten Produktionen springen können, vielleicht gibt es einen konzertanten Abend oder eine Aufführung nur mit Klavierbegleitung. Anschließend kommen die Kostüme natürlich in den Fundus, um sie auch für andere Produktionen nutzen zu können.


Das wäre natürlich für alle Beteiligten wunderbar, wenn die Produktionen doch noch in irgendeiner Weise zur Aufführung kommen könnten. Und trotz dieser bedauernswerten Absagen ist es umso schöner, dass Ihr aus dieser verrückten Zeit das Beste herausholt.

EF: Man kann ja auch nichts Anderes machen. Man muss irgendwie weitermachen, auch wenn alles anders ist. Und man hofft ja auch, dass es irgendwann wieder normal weitergeht. Für die Zukunft hoffe ich sehr, dass wir allen gerecht werden können, denn natürlich werden die Stückchen vom Kuchen viel kleiner sein, wenn so viele Produktionen nachgeholt werden müssen und dadurch viel enger zusammenliegen.
CV: Für die Zukunft muss man dann einfach weitersehen. Da werden wir uns noch viele Lösungen und Alternativen überlegen müssen. Wir können zum Beispiel nicht einfach wieder Anproben machen, der Mindestabstand wäre nicht einzuhalten. Da wird es dann vielleicht Lösungen wie beim Friseur geben und jeder muss eine Maske tragen.


Umso besser, dass Ihr Euch bereits jetzt für alle Eventualitäten vorbereitet und zumindest genügend selbstgenähte Masken zur Verfügung stellen könnt. Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Raffaela Grimm am 16. April 2020.

Und wer nun neugierig geworden ist, wie die fertigen Mieder unserer Kostümabteilung aussehen, kann hier, zusammen mit dem Technischen Direktor der Theaterakademie, Peter Dültgen, einen kurzen Blick auf die Schmuckstücke werfen:

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