Festivals vereinen den Widerspruch, ortsgebunden und gleichzeitig weltläufig zu sein. Das trifft auch auf das Festival d’Aix-en-Provence zu, das sich dem Musiktheater und der klassischen Musik widmet. Das 1948 gegründete Festival ist einerseits sehr in der provenzalischen Stadt verankert. Überall hängen Plakate, es gibt Open-Air-Konzerte, die Einwohner besuchen Generalproben. Andererseits werden große internationale Opernproduktionen gezeigt. Die Presse und die Gäste reisen aus dem In- und Ausland an. Für einen Monat kreuzen sich Kosmopolitisches und Lokales.
Im Rahmen des Workshops OPERA & CULTURAL JOURNALISM, der Teil des Programms enoa - European Network of Opera Academies - war, hatten Anna Landefeld-Haamann und ich die Möglichkeit, das Festival 2019 zu besuchen und uns mit Kollegen*innen aus anderen Bereichen und Ländern auszutauschen. Wir hatten die Gelegenheit, die meisten Stücke des Festivalprogramms zu sehen, darunter „Requiem", „Tosca", „Jakob Lenz", „The sleeping thousands" und „Rise and fall of the city of Mahagonny". Tagsüber hatten wir Schreibübungen unter der Leitung des holländischen Dramaturgen Willem Bruls (Opernwelt, The Wall Street Journal Europe, etc.) und der südafrikanischen Journalistin Shirley Apthorp (Financial Times, Opera Magazine, etc.). Das waren in der Regel Opernkritiken, Szenenbeschreibungen und Essays. Das Spannende waren danach immer die Diskussionen. Unsere Gruppe bestand aus Journalisten*innen, Dramaturgen*innen, Musikern*innen und Musikwissenschaftler*innen aus Frankreich, Polen, England, Südafrika, Amerika, Belgien und (einschließlich uns) aus Deutschland. Jede*r hat einen eigenen Background mitgebracht und unterschiedliche Dinge bei den Aufführungen gesehen und gehört. Manchmal waren wir uns einig, öfters auch uneinig. Was gut war, denn wir konnten sehr viel voneinander lernen. Nicht unbedingt im Schreibtechnischen (die Unterrichtsprache war Englisch und stand für uns Nicht-Muttersprachler weniger im Fokus), sondern im Wahrnehmen und Interpretieren von Klang und Regie.
Ein weiterer Bestandteil des Workshops war es, dass Opernmacher*innen und Festivalorganisator*innen zum Gespräch eingeladen wurden. So konnten uns beispielsweise der Casting Direktor Alain Perroux oder der neue Intendant Pierre Audi Einblicke in ihr Berufsfeld mitsamt allen Herausforderungen geben. Und wir konnten das junge Team rund um die Uraufführung von „The sleeping thousands" interviewen (die Dirigentin Elena Schwarz, den Librettisten Yonatan Levy und den Dramaturgen Amir Farjoun). Eine kreative und von Journalisten*innen zu wenig beachtete Perspektive auf das Opernmetier ermöglichte uns der Lichtdesigner Jean Kalman (bekannt für seine Zusammenarbeit mit Peter Brook) mit vielen lustigen Anekdoten aus seiner Karriere. Einen Blick auf die politische Lage und den Stellenwert der Oper (vor allem innerhalb Deutschlands) bekamen wir von Thomas Koch (Staatsoper Stuttgart). Meistens waren die Gespräche Anlass, bis spät in die Nacht über die Zukunft der Oper, aber auch des Journalismus zu diskutieren.
Da der Kulturjournalismus-Workshop zum ersten Mal von der Académie du Festival d'Aix und von enoa organisiert wurde, war das Ganze ein Experiment. Ein Experiment, das sich gelohnt hat. Denn am Ende haben wir nicht nur sehr unterschiedlichen Opern gesehen, sondern uns darüber ausgetauscht, wie wir von außen die Oper mitgestalten können. Das Ortsgebundene und das Weltläufige haben sich erfolgreich vereint.