Das zeitgenössische Theater und das Urheberrecht: Nicht erst seit der aufgeheizten Debatte um Frank Castorfs Inszenierung von Bertolt Brechts Baal werden die Positionen von Feuilleton, Theatermachern und Autoren heiß diskutiert. Zeit, einmal alle Positionen zu sortieren: Einen Tag lang wurde am 2. Mai an der Theaterakademie August Everding im Rahmen des Akademietags Anything goes – Ist das Urheberrecht noch zeitgemäß? intensiv darüber referiert und diskutiert. Antonia Leitgeb hat diesen Tag zusammengefasst.
Was darf ich als Theaterschaffender mit dem Text eines Autors anstellen? Darf ich Passagen oder Rollen streichen, Fremdtexte einfügen, oder gar das Stück von hinten nach vorne spielen?
Und welche Rechte habe ich als Autor? Kann ich verhindern, dass Texte, die ich nicht verfasst habe, in meinen Text eingeflochten und unter meinem Namen veröffentlicht werden? Kann ich mich dagegen sperren, dass mein Werk für politische Zwecke, denen ich nicht zuarbeiten möchte, eingesetzt wird? Oder bin ich mit meinem Werk – zumindest im Theaterkontext – bloß Zuliefernder, Katalysator für weiterreichende künstlerische Prozesse?
Diese und viele andere Fragen wurden im Rahmen des Akademietags Anything goes – Ist das Urheberrecht noch zeitgemäß? gestellt und diskutiert. Juristen, Dramaturgen, Regisseure, Autoren und Studierende hatten einen Tag lang die Möglichkeit, sich über die Vor- und Nachteile des Urheberrechts auszutauschen, und dabei wurde eines schnell klar: das Urheberrecht an sich, das Persönlichkeitsrechte und Verwertungsrechte Kunstschaffender schützt, wird von allen Diskutanten als eine wichtige Errungenschaft der Neuzeit und als notwendige Existenzbedingung vieler Künstler gewertet. Um eine Abschaffung des Urheberrechts ging es also kaum einem Teilnehmenden. Vielmehr wurde von Reformation, Anpassung an Entwicklungen des 21. Jahrhunderts und Berücksichtigung moderner inszenatorischer Praktiken gesprochen. Die Diskussion bewegte sich also – ähnlich wie die Konflikte, die von Zeit zu Zeit ins Licht der Öffentlichkeit geraten – an der Schnittstelle von Text und Inszenierung, eben jener Grauzone, die von Mal zu Mal neu verhandelt werden muss und die sich aus dem spezifischen Verhältnis von Theatertext und Inszenierung ergibt: denn Theatertexte werden geschrieben, um inszeniert zu werden – darüber herrscht Einigkeit.
Weniger einverstanden sind sich die Vertreter unterschiedlicher Meinungslager in ihren Vorstellungen über ‚richtige‘ oder ‚zulässige‘ Interpretationen eines Theatertextes. Denn allzu oft fühlen sich Theaterschaffende von ebendem Urheberrecht eingeschränkt, das Autoren als wichtige Grundlage ihres Schreibens und ihre einzige Möglichkeit der Einflussnahme auf die Umsetzung ihres Textes sehen.
Der Konflikt, den Theaterschaffende und Autoren an dieser Stelle oft austragen müssen, führt vor allem zu einer Entwicklung am Theater: Gewagtere Produktionen nehmen sich Texte zur Grundlage, auf die es keine Rechte mehr gibt. Denn 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt sein Urheberrecht und sein Werk steht zur Bearbeitung, Neuinterpretation, ja sogar zur ‚Zertrümmerung‘ zur Verfügung. Das ist eine Entwicklung, die aber wiederum den lebenden Autoren schadet, denn ein toter Autor erhebt zwar keinen Widerspruch mehr, er muss sich aber mit seiner Kunst weder durchsetzen, noch seinen Lebensunterhalt bestreiten.
Was also tun, damit nicht nur rechtefreie Klassiker gespielt werden und die jungen lebenden Autoren durch die Finger schauen? Wie schafft man den Balanceakt, der gleichzeitig die Rechte der Urheber wahrt und die kreative Auseinandersetzung Theaterschaffender nicht allzu sehr einschränkt? Die Lösung, so das Fazit, das aus dem Akademietag gezogen werden kann, liegt wie so oft im Gespräch. Denn die Antwort auf die Frage Anything goes? lautet: Ja – solange alle Beteiligten einverstanden sind.