Ein Jahr Abstinenz: Was mir fehlt... / Teil 2

Die erste Probe:

„Ein Klavier, ein Klavier", dachte ich begeistert, als ich die Bühne betrat und den Flügel erblickte. Lange war es her, seit ich zuletzt Live-Musik gehört hatte. Glücklicherweise ist die Akademie ein Ort, an dem man hinter einzelnen Türen immer wieder Gesangsfetzen auffangen kann. Ich gebe zu, dass ich schon ein paar Mal vor diesen Türen stehen geblieben bin, um zuzuhören.

Was für ein Gefühl, nun im Großen Haus des Prinzregententheaters zu sitzen und Donizettis Musik zu hören. Live zu hören. Zwar waren die Corona-Vorschriften allgegenwärtig, aber man durfte Kunst machen und mit Menschen außerhalb des Virtuellen zusammenarbeiten. Das Projekt wurde real.

Kürzlich las ich, der Besuch eines kulturellen Events würde das Level an Stresshormonen im Blut senken. Auch jetzt sitze ich oft auf musikalischen Proben, bei denen ich nicht gebraucht werde, um einfach zuzuhören. Werde ich gefragt, was ein Dramaturg eigentlich macht - eine Frage, die oft gestellt wird und die ich bis heute mehr schlecht als recht beantworten kann - ist das Wort „Probenbesuche" eine der ersten Antworten. Das kollektive Arbeiten an einem Projekt, das Kennenlernen eines Stückes, ist zentraler Bestandteil der Arbeit und einer der Gründe, weshalb ich mich für das Theater entschieden habe. Ich sitze oft fasziniert da und beobachte, wie Sänger*innen die Noten im Klavierauszug vor mir zu Musik werden lassen, wie aus Worten eine Welt entsteht.

Vielleicht blicke ich nach einem Jahr Abstinenz etwas verklärt auf die Proben. Eine Probe ist Arbeit - für Sänger*innen in besonderem Maße. Es geht um Details: die Suche nach der richtigen Ausdrucksweise, das Ringen um Betonungen und die passende Dynamik. Wichtig ist dabei, Inhalt und Partitur stets im Blick zu behalten. Welche Energie hat die jeweilige Szene? Was geschieht mit den Figuren? Wie stehen sie zueinander? Dabei geht es um mehr, als nur den richtigen Ton zu treffen. Die Stimme ist mehr als bloßes Mittel zum Zweck. In ihr liegen ein individueller Charakter und Klang, eine eigene Verletzlichkeit und Körperlichkeit. Erst das Wechselspiel von Stimme und Körper bringt den Sinn des gesungenen Wortes hervor. Auch - oder gerade? - in einer konzertanten Aufführung braucht es diesen körperlichen Prozess, um die Energie des Stückes, die Energie zwischen den Sänger*innen zu transportieren.
Natürlich macht diese Arbeit an Feinheiten mürbe. Hier mal ein Diminuendo zu wenig, dort mal ein Einsatz nicht punktgenau. Spätestens, wenn erneut unterbrochen und dieselbe Stelle zum achten Mal wiederholt wird, wird die Freude langsam getrübt.
Trotzdem habe ich dieses Arbeiten vermisst.

Mittlerweile ist unsere Premiere in greifbare Nähe gerückt. Wir dürfen immer noch nicht vor Publikum spielen und das Ergebnis unserer Arbeit nur als Stream präsentieren, aber schon das ist ein Privileg. Und auch, wenn wir Sie am Abend des 1. April nur virtuell im Prinzregententheater begrüßen dürfen, hoffe ich, dass sich unsere Motivation und unsere Freude darüber, endlich wieder spielen zu dürfen, bis zu Ihnen nach Hause überträgt - und sich meine zahlreichen Probenbesuche doch ausgezahlt haben...

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