"Draußen vor der Tür" in Rabat - die ersten Tage

Aufregende Tage liegen hinter den drei Schauspiel-Studierenden Philip Lemke, Philipp Rosenthal und Nora Schulte: Vergangene Woche waren sie mit ihrer Produktion von Draußen vor der Tür beim Festival International Des Ecoles Supérieures d'Art Dramatique im marokkanischen Rabat zu Gast. Nora Schulte erzählt im Blog, wie's war – heute über Tag 1 bis 3 der Reise.

Tag 1

Eigentlich müssen wir schon vor Tag 1 in Rabat beginnen. Denn die Flugreise ist auch schon eine kleine Erzählung wert.

Wir haben uns vor Reiseantritt natürlich über die Stadt und ihre Sitten und Gebräuche informiert. Uns war klar, dass es für mich als blonde Frau nicht ratsam sein würde, alleine unterwegs zu sein. Zudem hatten wir von einigen Horror-Storys über das Verschwinden junger Frauen gehört, was zu unserem Beschluss führte, mich nicht ohne männliche Begleitung durch Rabat stromern zu lassen. Dass man allerdings schon im Flugzeug damit rechnen musste, dass ich auf einmal verschwinden konnte, war nicht klar.

Ich will nur schnell auf Toilette, bevor wir landen. Und komme nicht wieder. Was wohl in den Köpfen der beiden Philip(p)s für Gedanken kreisten? Weit kann ich ja nicht sein. Doch etwas beunruhigt es schon (erfahre ich später). Was ist passiert? 

Auf dem Weg zur Flugzeugtoilette steht die Cockpit-Tür offen. Und ich kann nicht anders als hineinzuluren. Den zwei Piloten entgeht das nicht. „Willst du bei uns mitfliegen?“ grinsen sie mir entgegen. „Sowas kann dir nur in einer französischen Maschine passieren. Wir sind nicht so verklemmt, ähm pardon, diszipliniert wie ihr Deutschen.“ Kurze Zeit später finde ich mich auf dem Jumpseat wieder. Ich darf im Cockpit mitlanden! Viel sieht man um 22:00 Uhr Ortszeit natürlich nicht. Aber ein Lichtermeer am Rand einer schwarzen Küste breitet sich vor mir aus und ich bin mehr als beeindruckt!

Willkommen in Rabat! Was für ein Start. 

Das beste aber sind eigentlich die Blicke der Philipps als sie mich aus dem Cockpit kommen sehen. Unbezahlbar! (Mir sei das kleine Feixen vergönnt! Vor dem Flug hatte ich mir einige Kopftuchwitze und Benimmregeln anhören müssen...)

Gegen 23:00 Uhr kommen wir relativ gerädert endlich in unserem Hotel an. Ein Fahrer des Goethe-Institutes hat uns abgeholt und am Hotel abgeliefert. Uns drei Studierenden in dem einem, und den Studiengangsleiter Jochen Schölch und unseren Dozenten Mario Andersen in einem anderen Hotel. 

An der Rezeption lernen wir gleich ein paar unserer Festivalkollegen aus Mexiko kennen. Man beschnuppert sich vorsichtig aber sehr höflich. Dann, nach einem gemeinsamen Absacker, geht's ins Bett. Morgen soll es ja erst richtig losgehen.

Jetzt aber wirklich: Tag 1!

Müde aber happy treffen wir uns in der Hotellobby zum Frühstück. Natürlich sind wir erschöpft von der langen Anreise. Aber ein nächtlicher Zwischenfall hat uns die Nachtruhe gekostet. Als um ca. 5:00 Uhr morgens der Ruf des Muezzins vom Minarett (direkt neben unserem Hotel) erschallt, sitzen wir erstmal aufrecht in den Betten. Ein etwas unsanfter Start in den Tag. 

Dann geht's ans Planen. Auf dem Programm heute stehen nur zwei Termine: gemeinsames Mittagessen um 13:00 Uhr und Festivaleröffnung um 19:00 Uhr. Es steht also einiges an freier Zeit zur Verfügung. Und wir sind uns einig: Auf, Rabat erkunden! Wir sammeln Mario und Jochen ein. Diese sind in Begleitung von Abderrahim Oulmostaff, einem der Festivalorganisatoren, und dieser übernimmt kurzerhand die "Touristenführung". Er zeigt uns das riesige Mohammed Theater, in dem am Abend die feierliche Eröffnung sein würde, erzählt über seine Schauspielschulzeit und lädt uns dann zum Kaffee und hier traditionellem, sehr süßem Pfefferminztee ein.

Danach geht es zum gemeinsamen Mittagessen (Termin 1). An Tischen für je zehn Personen werden eine große Schale mit Couscous, Gemüse und Fleisch serviert. Alle essen von einem Teller, schwatzen, lachen und an den Nebentischen können wir weitere Studenten aus aller Welt ausmachen. Kunterbunt und herzlich.

Nach dem Essen zieht es uns an den Strand. Ein Fußmarsch von ca. 20 Minuten trennt uns vom Meer. Bis dorthin läuft man durch die engen Gassen des Stadtteils Medina. Dabei erfreut man sich an vielen Farben und vor allem den Gerüchen von ganzen, vor sich hinschmorenden Rinderköpfen auf irgendwelchen Ständen, staunt über die Architektur und merkt, wie zauberhaft fremd dieser Flecken Erde ist. 

Dann endlich: das Meer. Kälter als gedacht. Aber natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, wenigstens die Füße reinzuhalten.

Zurück durch die Gässchen, ab ins Hotel. Mittagsruhe und Vorbereitung für unseren Auftritt am 4. Dezember. Noch fehlen einige Übertitel und auch das mit der Technik wird abenteuerlich, wie wir bei unserer morgendlichen Führung feststellen dürfen. Doch wir sind frohen Mutes.

19:00 Uhr. Auf zur Eröffnung.  

Diese beginnt mit festlicher und wilder Trommelei. Berberische Rhythmen heizen ordentlich ein. Dann bewegt sich die Menschenmasse ins Mohammed Theater. Reden werden gehalten, Leute werden geehrt, alles auf berberisch oder französisch. Letzteres spricht nur einer von uns relativ sicher. Aber als das Jurymitglied Jochen Schölch auf die Bühne gerufen wird, applaudieren wir grinsend.

Der erste Jahrgang der Schauspielschule Rabat zeigt eine Minichoreo mit phosphoreszierenden Masken und Handschuhen, ein Mann jongliert wunderbar mit drei Bällen, zwischendrin klingeln Handys oder es wird laut geredet. Alles etwas chaotisch, aber immer lächelnd. Wir sind dabei! 

Die Zeremonie ist beendet, Busse sammeln die komplette Festivaltruppe ein und wir fahren in die Altstadt Medina. Dort erwartet uns ein herrschaftliches Haus. Reich an Verzierungen, wunderschönen Kacheln, handgeschnitzten Tür- und Fensterrahmen. Als wir das erste Staunen überwunden haben, fällt uns auf, wie hungrig wir sind. Doch das ganze Anwesen duftet herrlich vielversprechend! Wir nehmen an fein eingedeckten 10er-Tischen Platz (wieder 10!). Die Mexikaner gesellen sich zu uns und später auch eine Holländerin. Es ist ein von Lachen und Musik (eine 2-Mann-Band spielt marokkanische Melodien) erfülltes Miteinander und fast vergessen wir, dass das Essen immer noch nicht da ist. Es ist mittlerweile fast 22:00 Uhr und die Mägen hängen uns in den Kniekehlen. Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, erkunden wir das Gebäude und schließlich  beginnt eine der Mexikanerinnen zu tanzen. So wie es eben immer ist, schließen sich ihr kurz darauf auch alle anderen an. Dann, endlich, wird das Essen gebracht. Wieder ein Teller für alle. Aber nun dreimal hintereinander. Die drei Gänge enthalten so ziemlich alles, was man sich wünschen kann und sogar ich (als pingelige Allergikerin) werde mehr als satt. 

Zufrieden und müde lassen sich alle vollgefutterten Studenten mit dem Bus ins Hotel fahren. Diskussionen über Linklater-Atemtechnik unterhalten Norweger, Mexikaner sowie uns... wir sind halt alle Schauspielstudenten und spätestens jetzt hat man das auch wieder auf dem Schirm. Alles aufregend und immer einen Tick zu laut.

Dann heißt es für uns: ab ins Bett.

Was für ein schöner Tag und was für ein schöner Festival-Auftakt. 

Tag 2

Auch wenn das späte Abendessen allen schwer im Magen liegt, Kaffee, Tee und ein paar süße Früchte bekommen wir runter. 

Dann setzen sich die Jungs an die Arbeit. Unsere Übertitel machen uns ein bisschen Sorgen. Es sind so viele und sie müssen alle einzeln per Copy and paste... Okay. Wir probieren es. Gejammert wird später.  Ich dagegen werde Mario bei seinem Cechov Workshop als Assistentin zur Seite stehen. Ich sammle ihn bei seinem Hotel ein und wir laufen zum Goetheinstitut, welches extra Räume zur Verfügung gestellt hat. 25 Leute haben sich zum Kurs angekündigt. Nachdem sich die erste Anfangsnervosität gelegt hat, ist Mario voll in seinem Element und die Studenten sind freudig am Probieren. Das gemeinsame Arbeiten macht allen sichtlich Spaß, man lacht und scherzt und im Abschlussgespräch wird über die schönen und erstaunlichen Erfahrungen des Workshops diskutiert. Die zwei Stunden sind wie im Flug vergangen. Es gibt viele Dankeschöns an Mario und alle freuen sich auf die kommenden drei Sitzungen. 

Dann geht´s zum gemeinsamen Mittagessen. Die 10er Tische, das Essen von einem Teller, großartige Düfte... Alles wunderbar. 
 

Kurze Pause. Zeit für uns zum Tippen und für einen kleinen Streifzug durch die Gässchen. Wir bewundern die blauen Häuser der Medina, erkunden die Strandpromenade, vorbei am Fischmarkt, der Duft unzähliger Süßigkeiten und Gewürze kitzelt die Nasen und mehr oder weniger Text machend versuchen wir all das aufzunehmen und zu verarbeiten.

Um 17 beginnen die Spanier mit ihrer Präsentation. "Dias estupendos" heißt  das Stück der Madrider Truppe, was so viel heißt wie "großartige Tage". 

Eine knapp zweistündige Aneinanderreihung mehr oder weniger zusammenhängender Szenen, viel Musik, viel spanischem Temperament und Spielspaß sind zu sehen. Die Übertitel funktionieren nicht einwandfrei (was mich sehr beruhigt). Das schnelle Lesen macht mich schwindelig, weshalb ich irgendwann aufgebe und mich aufs Spiel der Studenten konzentriere. Ich schmunzle viel und höre die Philipps und auch andere lachen. 

Als klar ist, dass keine weitere Szene mehr folgt, gibt´s großzügig Applaus von allen Seiten. Eine Stunde Pause. Lemke und Mario beschließen das Fastfood-Etablissement mit dem schottisch klingenden Namen aufzusuchen. Das hier übliche späte Abendessen ist ihnen noch zu lang hin. Verständlicherweise. Rosenthal und ich hingegen tanken etwas Ruhe im Hotel, bevor die Truppe aus Rabat mit Spielen dran ist . 

"Men hna lgoudam...?" 
Wieder einmal stoße ich an die Grenzen meiner nicht vorhandenen Arabischkenntnisse. Ich bin überfordert. Aber: Googletranslate auch! Was ich aber in Erfahrung bringen kann - es ist die Adaption eines Stückes von Edward Bond.

Eineinhalb Stunden futuristische Dystopie,  schrille Kostüme im Frischhaltefolienbühnenbild und alles auf arabisch ohne Übertitel. Und Zwischendrin scheinen weder Handys noch Kinder für wenigstens kurze Zeit  ruhig zu stellen zu sein. Trotzdem schafft es besonders einer der Schauspieler, uns alle vier (Mario saß bei uns) zu fesseln. Obwohl wir erst Tag zwei haben, ist er für uns heißer Favorit für den Preis des besten männlichen Darstellers! Das Stück muss eine wahnsinnige politische Aussagekraft haben, denn als die Schauspieler sich verbeugen, steht das halbe Theater von den Sitzen auf. Standingovations und gerührte, leicht fassungslose  Schauspieler. Wie gerne hätten wir etwas verstanden!

Obwohl es wieder spät ist, wir alle müde sind und Lemke schon gegessen hat, fahren wir ins Restaurant in die Medina. Same procedure as yesterday und wir hören munkeln: so ist es jeden Abend. Üppiges Mahl mit Musik, Tanz und Gesang. Schön. Und doch sind wir froh als wir (Dank connections zu einem der Jurymitglieder) im ersten Bus zurück ins Hotel sitzen. Es ist nach zwölf! Klappe zu, drei Studenten Tod (müde)!

 

Tag 3

Beim gemeinsamen Frühstück geht es wie immer an die Tagesplanung. Immer noch diese blöden Übertitel... Sisyphusarbeit. Aber vielleicht hilft ein zweiter Laptop? Dass wir da noch nicht drauf gekommen sind. Wir hoffen, dass der Laptop, den wir von unserer Tonabteilung bekommen haben, irgendein hilfreiches Programm enthält. Als Mario mir versichert, heute auf meine überaus charmante Assistenz verzichten zu können, beschließe ich, mich etwas zurück zu ziehen und Text zu machen, natürlich auf Abruf bereit falls einer der Jungs einen Tippkrampf bekommen sollte. Ich spüre, dass die Eindrücke der Letzten Tage definitiv noch Zeit zum Sacken brauchen. Müdigkeit in den Knochen.   

Dann Drama: Unser Laptop, mit dem bisher gearbeitet haben, stürzt ab. Heldenhaft starten die Boys einige Wiederbelebungsversuche. Wir merken, dass wir nicht mehr ganz  so cool und locker sind – die Nervosität steigt und die Laune hebt sich nicht grade, als wir feststellen, dass der andere Laptop ein Macbook ist... Mittlerweile funktioniert der alte aber wieder. Es war der Treiber, jubeln die Jungs. Klar! Der Treiber (Gott, bin ich froh, dass die Jungs den Technikkram machen!). Dann haben sie es geschafft! Fertig mit den Übertiteln!!! Heroes!

Schwer verdientes Mittagessen! Übliche 10er-Konstellation, neue Tischnachbarn. Wir setzten uns zu den Italienern. Aufgeweckt und laut erzählen wir uns gegenseitig, was wir präsentieren und was wir sonst so in der Uni machen. Die Truppe wird mit selbst gebauten Puppen auftreten. Wir sind sehr gespannt. Natürlich kommt es zu einigen lustigen Versuchen, Vokabeln des jeweils anderen zu lernen. Lemke packt ein paar Brocken Schulitalienisch aus und die Italiener probieren sich an: ich liebe dich, Draußen vor der Tür.

Nach dem Essen geht es zum Spaziergang. Irgendwie scheint das mittlerweile ein fixer Programmpunkt zu sein. Aber wir wollen ja auch was von der Stadt sehen. Wir schlendern die Prachtstraße in Richtung Königspalast entlang (welcher leider um diese Uhrzeit nicht zu besichtigen ist, wie wir erfahren) und lassen uns dann an einer wunderschönen Moschee, ein paar Regierungsgebäuden und dem Museum für moderne Kunst vorbei durch die Gassen treiben. Rosenthal redet von Flitterwochen in Rabat (weiß aber noch nicht mit wem) und dem Kauf eines kleinen Palastes, bis ihm einfällt, dass arabischer Prinz zu werden auch eine Lösung wär.

Wir setzen uns in ein kleines Café, bestellen auf immer sicherer werdendem Französisch Panini, Pommes und Pfefferminztee (traditionell quietschsüß natürlich) und besprechen den Ablauf des morgigen Tages. Ein bisschen Technisches ist ja noch zu klären. 

Auf zurück zum Hotel, nochmal verschnaufen. 

Um 17:00 Uhr beginnen die Ernst Buschler mit ihrer Version von Die Gerechten. Vier Personen, kurzweilige 30 Minuten, viel Energie. Eine gute Truppe. Und wieder sind wir uns einig, wer uns am meisten gefesselt hat. Schon erstaunlich. Aber es scheint, als hätten wir drei alle einen ähnlichen Geschmack, wenn es um Ausstrahlung geht. Oder es gibt diese eine Art von Ausstrahlung, der sich niemand entziehen kann. Auch möglich. Als das Licht angeht, sind alle etwas verwirrt. Ging ganz schön schnell. Ich hätte gern mehr gesehen. 

Nur kurz Zeit, dann ist die Elfenbeinküste dran. Ein Zwei-Personen-Stück, La Brise importée. Eine dramatische Liebesgeschichte. Streit. Drama. Emotion. Feuriges Miteinander. Das war das, was ich mitbekommen hab. Bei meinen paar Brocken Französisch. Ohne Übertitel. 

20:00 Uhr. Salut México. Wir sind freudig aufgeregt mit einer der kommunikativsten und herzlichsten Truppen, die wir bisher näher kennen lernen durften. 

Ich will ganz weit vorne sitzen. Klappt. Was dann passiert, ist kaum in Worte zu fassen. Und es berührt. So sehr. Im Prinzip passiert vor unseren Augen eine Gesellschaftsstudie in einer Fantasiesprache, die wirklich jeder im Saal versteht. Das spürt man. Mit einfachsten Mitteln, die so viele Bilder im Kopf erzeugen, dass es zu Tränen rührt. Wenn ich vorher von Spielspaß und Kraft gesprochen habe, übertrifft das alles. Wahnsinn. Jeder dieser Menschen hätte für sein Feuer und seine Spielfreude einen Solopreis verdient. 

Ganz beseelt verlassen wir den Saal und vermuten: der Produktionssong wird die Festivalhymne! Ganz, ganz toll. 

Nach dem letzten Stück für heute wollen wir uns vom allzu späten Abendessen separieren, um früher ins Bett zu kommen. Wir begleiten Mario in sein Hotel, essen eine Kleinigkeit, trinken natürlich etwas zu lange Wein und machen uns dann auf ins Bett. Wir wollen ja fit sein morgen...

Hui das wird aufregend! 

Zum zweiten Teil des Beitrags

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