Building participatory projects

Lugh Wittig, Julie Junge und Lean Fargel haben sich vom 23. bis 27. November 2017 auf den Weg nach Amsterdam gemacht, um an der Dutch National Opera an einem Workshop im Rahmen von ENOA (European Network of Opera Academies) teilzunehmen. Hierbei haben sie so einiges darüber erfahren, wie wichtig partizipative Projekte in unserer Gesellschaft sind. Doch wie können selbige überhaupt genau aussehen? Unsere Bühnenbild- und Musicalstudierenden geben einen Einblick.

Die Ankunft in Amsterdam glich beinahe einem kleinen Zeitsprung. Weder Zugtickets noch Tram-Tickets ließen sich in bar bezahlen. Überall konnten selbst die geringsten Beträge mit Karte bezahlt werden. Und die Gefahr, durch Fahrräder zu Tode zu kommen, war weitaus höher als die durch Autos. Zudem gilt Amsterdam als eine der internationalsten Städte der Welt. Hier sollten wir uns also die kommende Woche über die Zukunft der Oper in ihrer progressivsten Form, der Partizipativen Oper austauschen.

Auf dem Weg zu unserem Air BnB kam eine Unterhaltung mit einer älteren Dame zustande. Wir erzählten ihr von unserem Workshop in der Oper. Daraufhin berichtete sie uns von den Protesten, als das Haus gebaut wurde. Den Auftrag hatte damals ein namhafter Architekt und die dürften sich ja ihrer Meinung nach mehr herausnehmen als andere. Jetzt sei das Gebäude zu groß und außerdem ganz weiß. Es passe überhaupt nicht in das gewachsene Stadtbild. Wir entgegneten, dass etwas Modernes ja auch zum Stadtbild beitragen könne. Von innen sähe es schon sehr schön aus, antwortete sie uns, aber von außen wäre es einfach zu groß und zu fremd, um irgendetwas beizutragen. Aber man könne durch die große Fensterfront ja hineinsehen, entgegneten wir. Wenn man ganz dicht daran vorbeiginge stimme dies, ja. Die Tram kam und wir fragten uns, ob wir nicht eigentlich über die Institution Oper und ihre Problematik der Exklusivität an sich gesprochen hatten.

Am ersten Workshop-Tag wurden wir von Peter van der Leeuw an der Bühnenpforte in Empfang genommen und mit einem Goodiebag ausgestattet, der alles enthielt, was wir die nächsten Tage brauchen sollten: Papier, Stifte, eine wieder befüllbare Wasserflasche und einen Gastausweis. Von der Pforte ging es in die überaus schöne Kantine, in der man allerdings ohne Debitkarte nichts zu essen bekam! Hier trafen wir die bereits Angekommenen und warteten auf jene, die noch hinzustoßen sollten.

Wie in der Opernwelt selbst wurden die Teilnehmer des Workshops sehr international ausgewählt. Sie kamen aus Großbritannien, Südafrika, Frankreich, den Niederlanden, der Türkei, Schweden, Israel, Italien und wir aus Deutschland.
Anthony Heidweiler, unser Workshop-Leiter, begrüßte uns alle sehr warmherzig. 
Und dann ging es auch schon mit der obligatorischen Vorstellungsrunde (bei der sich eh niemand alle Namen merken kann) los, gefolgt von einer Einführung in das Thema anhand der Projekte von Anthony. Wir stellten viele Fragen und diskutierten viel. Nach der Mittagspause und einer Führung durch die Oper setzten wir dies fort. Anthony erläuterte uns seine Herangehensweise und war sehr offen für jegliche andere Möglichkeiten und Anregungen von unserer Seite, da es bisher kaum explizite Literatur über dieses Thema gibt. Dabei war ihm die Frage nach unseren persönlichen Präferenzen immer sehr wichtig. Die hitzigen Diskussionen wurden nach Ende des Workshop-Tages in der Bar gegenüber der Oper fortgesetzt.

Am zweiten Workshop-Tag war alles viel praxisorientierter. Wir trafen uns mit Anthony im Bezirksamt Amsterdam-West. Hier wurde uns ausführlich sein dort realisiertes Projekt vorgestellt, das daraus bestand, mehrere kleine Opern in Geschäften in Amsterdam West zu inszenieren. Bestehend aus je einer Arie, geschrieben von Müttern aus dem Viertel und von Amsterdamer Kompositionsstudierenden vertont, wurden sie anschließend mit professionellen Musikern und Sängern aufgeführt. Aufführungsorte waren dann beispielsweise ein Buchladen, ein Friseursalon, ein Fischladen, ein Optiker und weitere Geschäfte.

Es nahmen sich sogar einige der Teilnehmer von damals die Zeit, uns über ihre Erfahrungen zu berichten. Zwei street coordinater des Viertels und ein in dem Viertel tätiger Polizist sprachen von dem Projekt und davon, wieviel es der Communitiy damals gegeben hatte. Erneut stellt sich hier die Frage nach der Lebensdauer einer solchen Produktion. Denn ein meist schwer zu erreichendes Ziel des Partizipativen Projekts ist es, dass auch nach Projektende etwas mehr bleibt als Erinnerungen und dass die Partizipierenden Eigeninitiative ergreifen. 

Daraufhin besuchten wir auch die Läden und unterhielten uns mit deren Inhaber.  Überall war zu spüren, wie sehr dieses Projekt die Menschen begeistert hatte. 

Anschließend wurden wir selbst aktiv und Aslan, der Besitzer und Lehrer einer Amsterdamer Musikschule, demonstrierte in einem Trommelworkshop, wie Kommunikation auch ohne Worte möglich ist. Ganz ohne solche brachte er uns dazu, gemeinsam komplizierte Rhythmen zu trommeln. Seine Musikschule bietet auch für Kinder aus ärmeren Haushalten qualitativ hochwertige Musikstunden an.

Den überaus ereignisreichen und inspirierenden Tag beendeten wir mit einem gemeinsamen Gesang. Abends trennten sich unsere Wege: Es ging entweder in die Oper zu einem Doppelabend mit  Eine Florentinische Tragödie und Gianni Schicchi oder zur Aufführung eines Geschichtenerzählers in die Docks.  

Samstag früh begannen wir damit, der Reihe nach unsere aktuellen oder auch vergangenen Projekte einzeln der Gruppe vorzustellen. Jeder erhielt Feedback, indem sein Projekt ausführlich besprochen wurde; es gab Ratschläge, Anmerkungen, Verbesserungen und Kritik. So konnten wir voneinander lernen und auch genauer herausdestillieren, worauf es bei einem Partizipativen Projekt ankommt, wie weit es gefasst sein kann, welche verschiedenen Ansätze es gibt, welche Probleme auftreten können und wie man sie bewältigt.

Den Sonntag setzten wir nach diesem Schema fort, und nach diesem ebenso inspirierenden Tag trafen wir uns alle abends bei Anthony's Mutter, die für uns vorzügliche syrische Speisen vorbereitet hatte. Hier merkten wir, wie wichtig das gemeinsame Essen ist. Wenn man gemeinsam kocht und isst, kann eine tiefe Vertrautheit entstehen, wie sie anders kaum herzustellen wäre. Dies lässt sich auch gut auf Partizipative Projekte anwenden. Wenn es gilt, Vertrautheit in einer Community herzustellen, wäre es ein guter erster Schritt, gemeinsam zu kochen.

Auch am Montag fuhren wir auf diese Weise fort. Als sich der Workshop seinem Ende zuneigte, kamen wir noch einmal auf unsere ursprünglichen Fragestellungen zurück und fassten alles, was wir bisher gesammelt hatten, zusammen. Wir erstellten eine Liste mit schlagkräftigen Argumenten, um in Zukunft die Kultur-Entscheidungsträger von dieser Art von Theaterarbeit zu überzeugen und Geldgeber für unsere Projekte zu gewinnen.

Nun fiel uns der Abschied schwer: Wir hatten in dieser knappen Woche bereits ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt, und so wurde beschlossen, Kontakt zu halten, uns gegenseitig über unsere Projekte zu informieren und weiter an der Theorie des Themas Partizipative Projekte zu arbeiten. Abschließend sahen wir uns gemeinsam noch die Wiederaufnahmeprobe von La Bohème in der Regie von Benedict Andrews unter der musikalischen Leitung von Andrea Battistoni in der Bühne von Johannes Schütz an.

Aber nun: Was bleibt? Warum sind Partizipative Projekte so wichtig? Ein paar Antworten haben wir gefunden: Sie erzählen und entwickeln neue Geschichten, reißen Mauern nieder (sei es gesellschaftlicher oder physischer Art), bieten Freiheit von Inhalt und Form, stellen stets die gewohnte künstlerische Praxis in Frage, ermöglichen die Entstehung von Kollaboration und Spontaneität, vereinen spannenderweise Publikum und Darsteller in sich, hinterfragen die bestehende Hierarchie, sind unglaublich unmittelbar und kommunikativ, politisieren die Teilnehmer und erschließen nicht zuletzt neue Zielgruppen für die Oper oder andere Institutionen. Vor allem aber sollte es darum gehen, neue Formen zu entwickeln, und zwar mit zeitgemäßen Themen, um unsere sich so schnell verändernde Welt anzusprechen. Es wäre eben schön, wenn die Oper zu einem Ort werden würde, an dem viel mehr experimentiert wird. Das Involvieren der ganzen Gesellschaft ist ein hohes, aber mögliches Ziel. Es ist das Ziel, jeden sich seiner schöpferischen Kraft in der Gesamtheit bewusst werden zu lassen.

Es ist in unserer Zeit bedenklich, wie nationalistisches Gedankengut europaweit wieder Anklang findet. Gerade hier könnten gemeinschaftliche Projekte entgegenwirken – mit der Oper als Plattform, mittendrin und überall aufgrund ihrer hohen Akzeptanz und Internationalität.

Alles in allem war dies ein sehr intensiver und inspirierender Austausch mit internationalen Musiktheater-Schaffenden, die – wenn auch in anderen Städten und Ländern – doch ähnliche Probleme und Fragestellungen wie wir in München haben. 

Lugh Wittig & Julie Junge, Studiengang Bühnenbild 

Lean Fargel, Studiengang Musical

 

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