Patrick Hahn, der Dirigent und musikalische Leiter der Oper L'occasione fa il ladro, probt mit dem Münchner Rundfunkorchester und den Studierenden des Master-Studiengangs Musiktheater/Operngesang auf der Bühne des Prinzregententheaters. In der Pause spricht der Dramaturg Johannes Hebsacker mit ihm über einen gelungen Rossini-Abend, das Schwere an der Leichtigkeit und über Kunst, die unterhalten darf.
L’occasione fa il ladro ist eine sehr frühe Oper von Rossini, vergleichsweise kurz und – was die Besetzungen auf der Bühne und im Orchester angeht – überschaubar. Was macht für Dich den Reiz an diesem Stück und an anderen frühen Rossini-Opern aus?
In der kurzen Spieldauer von eineinhalb Stunden ist bereits alles enthalten, was Rossinis längere Opern ausmacht – nur kompakter. Nichts fehlt. Und Rossinis Handschrift ist sehr deutlich zu hören.
Wie ist Dein Zugang zu Rossinis Musik insgesamt und zu L’occasione fa il ladro im Speziellen?
Bei Opern von Rossini ist es ein bisschen wie bei Mozart-Opern. Sie sind wahnsinnig schwer zu dirigieren. Sie klingen so leicht, aber es ist sehr schwer, diese Leichtigkeit zu erzeugen. Bei Rossini kommen diese langen Bögen dazu, in denen die Musik immer noch schneller und schneller wird. Da dürfen Orchester und Sänger*innen nicht auseinanderfallen oder wackeln. Wenn die Darsteller*innen auf der Bühne umherlaufen oder sich akrobatisch bewegen, ist das gar nicht so einfach. Das Metrum läuft erbarmungslos durch.
Was macht musikalisch einen guten Rossini-Abend aus?
Ich glaube, dass Rossini so schwer ist, weil seine Musik immer leicht, luftig und locker klingen muss. Es ist schwierig, beispielsweise die richtigen Tempi zu finden. Wenn man zu langsam ist, wird die Musik träge, wenn man zu schnell ist, wird sie unsingbar. Die Sänger*innen haben Partien mit akrobatischen Anforderungen zu erarbeiten. Sie haben so viel Text zu singen. Wo bringt man da die Stimme unter? Mit dem Orchester ist es wichtig, die Sänger*innen nicht zu überdecken und die musikalischen Effekte richtig zu setzen. Eine Rossini-Oper ist eine Gratwanderung.
Welche Rolle spielt der Inhalt der Oper bei ihrer musikalischen Erarbeitung und Einstudierung?
In konkreten Situationen kann der Inhalt einen unmittelbaren Einfluss auf die Musik haben. Wenn Berenice keine Lust hat auf ihre bevorstehende Hochzeit, beeinflusst das ihre Interpretation in diesem Moment. Wenn sich Parmenione und Alberto gegenseitig ankeifen oder beschimpfen, hat das einen hörbaren Einfluss auf die Interpretation, also beispielsweise darauf, wie sie singen. Ich behaupte aber ganz böse, dass die konkreten Auswüchse dieser Farsa grundsätzlich wenig Einfluss haben – vielmehr die Stimmungen und Emotionen, die die Inhalte erzeugen.
Was ist Aufgabe der Musik in dieser Oper? Welche Rolle spielt die Musik auf der Bühne?
Wenn Ernestina und Parmenione sich zum ersten Mal begegnen… (Patrick Hahn beginnt zu singen.) Es liegt etwas zwischen ihnen in der Luft. Sie nähern sich an, lernen sich vorsichtig kennen, sind mutig und dann wieder schüchtern. Das hört man auch in der Musik. Damit kann man auf der Bühne umgehen. Welche Haltung haben die beiden? Wie bewegen sie sich? Musik und Szene befruchten sich immer gegenseitig.
Im Libretto werden die Figuren als Typen skizziert. Charakterisiert die Musik auch?
Sie charakterisiert eher situativ. Parmenione hat keine ‚eigene‘ Musik und andere Figuren auch nicht. Aber situativ beeinflusst die Musik den Charakter von Figuren schon.
Manchmal habe ich ein bisschen das Gefühl, dass Albertos Momente etwas galanter, Parmeniones Phrasen etwas stupider wirken.
Das stimmt schon. Aber das kommt vielleicht auch daher, dass Alberto in der Geschichte eine höhere Stellung hat. So empfindet man ihn dann eben als eher galanten Liebhaber und Parmenione vielleicht eher als Gauner und Tausendsassa.
In dieser Oper bringt vordergründig eine Kofferverwechslung die Handlung ins Rollen. Ist L’occasione fa il ladro Unterhaltungstheater?
Ja! Und das ist auch nichts Schlechtes. Natürlich ist das Stück zur Unterhaltung entstanden. Auch Der Fliegende Holländer oder Die Zauberflöte müssen unterhalten. Viele scheuen sich, das Wort Unterhaltung zu benutzen, wenn es um Kunst geht. Unterhaltung scheint oft verpönt. Als sollten sich die Menschen nicht unterhalten lassen. Aber das müssen sie! Und das kann – und muss – man auf hohem Niveau machen.
Du sprichst mir aus dem Herzen.
Auch Unterhaltung kann man ernst nehmen. Kunst darf unterhaltsam sein.
Wir gehen einigermaßen frei mit der Partitur um. Es wird zusätzliche kürzere und längere Dialogszenen geben und Einwürfe in Rezitative. Einmal strecken wir ein Rezitativtakt fast zu einer eigenen kleinen Arie, manchmal wechseln wir auf andere Sprachen. Kann das funktionieren?
Wenn es überzeugend gemacht wird – auf jeden Fall! Das kann herrlich komisch sein. Zu Rossinis Zeit war das eine gängige Praxis: Sänger*innen haben beispielsweise einen Gassenhauer in ihren Gesangspart eingebaut, der gerade populär war. Mit den Rezitativen darf man nicht nur frei umgehen, man muss es sogar. So kann man die Geschichte voranbringen. Gerade, wenn wir unterschiedliche Figuren erzählen wollen, können kurze Einwürfe in anderen Sprachen bereichernd sein.
Hast Du einen Lieblingsmoment in unserer Inszenierung?
Es gibt ein paar Momente, die ich besonders gerne mag. Ein Moment ist natürlich Berenices Schlussarie, wenn sie ihre waghalsigen Koloraturen singt. Heute ist in der Probe genau das passiert, was ich erwartet habe. Sie singt aberwitzig hoch und die Musiker*innen des Orchesters amüsieren sich köstlich. Na servus, so kann man auch singen?! Das ist tolle Unterhaltung. Die Arie geht richtig ab. Solche Momente freuen mich besonders.
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L'occasione fa il ladro (Gelegenheit macht Diebe)
Oper von Gioachino Rossini
Di, 16.11.21, 19.30 Uhr (Premiere)
Do, 18.11.21, 19.30 Uhr
Fr, 19.11.21, 19.30 Uhr
So, 21.11.21, 18 Uhr
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