Shakespeares Sommernachtstraum ist für viele Kinder und Jugendliche oft der erste Zugang zur Welt des Theaters. Wie kamst Du mit dem Stück in Berührung?
Olivier Tambosi: Ich war als Kind schon ein Fan der Shakespeare-Komödie, aber nicht, weil ich sie gelesen hatte, sondern weil ich sie von der berühmten Max Reinhardt-Verfilmung aus den 30er-Jahren kannte. Da es damals aber noch keine DVDs gab und ich es nur sehen konnte, wenn es im Fernsehen lief, kam es oft vor, dass ich mehrfach angekündigt dem Unterricht ferngeblieben bin, mit der Begründung: Ich kann morgen nicht zur Schule kommen, weil der Sommernachtstraum im Fernsehen läuft.
Dem musikalischen Sommernachtstraum bin ich zunächst über Mendelssohns Vertonung begegnet. Die Version von Britten, die ich mit ungefähr 14 Jahren zum ersten Mal gehört habe, war für mich zunächst eine herbe Enttäuschung. Ich konnte mit den Figuren der Liebenden, so wie Britten sie gezeichnet hat, nicht wirklich etwas anfangen. Einen Zugang zu dieser Oper bekam ich durch die Szenen der Handwerker, weil ich so begeistert davon war, dass es bei ihnen sowohl textlich als auch musikalisch drunter und drüber geht und man dennoch jedes Wort versteht.
Was macht für Dich den Reiz der Oper A Midsummer Night’s Dream gegenüber seiner Vorlage aus?
Olivier Tambosi: Für mich sind es die Unterschiede. Auch wenn Britten und Pears das Schauspiel für ihr Libretto viel gekürzt haben, entsteht dennoch der Eindruck, als hätte man den ganzen Shakespeare-Text vor sich. Wenn man aber genauer hinschaut, ist die Oper doch ein völlig anderes Stück. Das wird besonders am Beginn der Oper deutlich: Bei Shakespeare setzt die Handlung am Hof des Herzogs Theseus ein und endet auch dort. Das Erscheinen der Feen und Elfen und deren Eingreifen in die Welt der Menschen wird als Ausnahmezustand empfunden. Bei Britten ist das genau andersherum. Wir beginnen in der Welt der Feen im Wald und die Menschen erscheinen uns als Fremdkörper in diesem Kosmos des Übernatürlichen.
Zudem zeichnet sich die Oper für mich noch durch Folgendes aus: In Shakespeares Vorlage fände man es mitunter sicher großartig, einmal eine Nacht in diesem „Sommernachtswald“ mit all seinen Feen und Elfen zu verbringen. Bei Britten scheint dies unmöglich. Ich empfinde, dass Britten durch seine Musik den Wald und die in ihm lebenden Figuren wesentlich lebensfeindlicher zeichnet. Die Gefahr sich in dieser Welt zu verlieren, ist in der Oper viel stärker angelegt.
Wie setzt man solch eine eher unheimliche Welt auf der Bühne um?
Olivier Tambosi: Für das Bühnenbild sind die Themen Wald und Traum zentrale Komponenten. Man sieht ein Bett, das ganz überwuchert mit Ästen und Zweigen ist, kann den Ort aber zunächst nicht exakt definieren: Sieht man ein Hotelzimmer, in das der Wald eindringt oder hat jemand dieses Bett in einen Wald gestellt? Mit der Zeit wird deutlich, dass der Wald den wir sehen, kein blühender ist. Eigentlich ist er mit seinem toten Geäst, das die Menschen zu verschlingen scheint, sehr lebensfeindlich. Für mich war es außerdem spannend, eine Problematik mit hineinfließen zu lassen, die Tytania und Oberon zu Beginn der Oper ansprechen: "Aufgrund unseres Streits geschehen negative Veränderungen in der Natur. Weil wir nicht im Einklang sind, muss unsere Umwelt darunter leiden."
Mit der Anspielung darauf, dass auch wir am Beginn dieser beängstigenden Veränderungen in der Natur stehen, wirkt auch der Wald auf der Bühne beklemmend und albtraumhaft.
Jetzt sind es noch knapp zwei Wochen bis zur Premiere. Wie läuft die Arbeit mit den jungen Sängerinnen und Sängern?
Olivier Tambosi: Sehr gut! Wenn ich beginne mit den Darstellern die Oper zu proben, fühlt es sich immer ein wenig wie eine Raumschifflandung auf einem fremden Planeten an. Zwar weiß man schon ungefähr etwas über diesen Planeten, aber die eigentliche Erforschung beginnt erst mit der Landung. Die interessanten Aspekte dieses Planeten bzw. in unserem Fall der Oper werden erst dann sichtbar. Diese Aspekte, die wir dann entdecken und erarbeiten, sind dann aber nicht per se interessant, sondern sie sind in genau dieser Kombination mit genau diesen Darstellern spannend. Durch die gemeinsame Arbeit und den Input jedes Einzelnen entsteht dann im besten Fall etwas sehr Individuelles, was die Handlung zum Atmen bringt.
Hast Du eine persönliche Lieblingsstelle in Brittens A Midsummer Night’s Dream?
Olivier Tambosi: Faszinierend ist für mich vor allem der erste gemeinsame Moment von Tytania mit dem in einen Esel verwandelten Bottom. In dieser Szene ist von ganz großer Erotik über unglaubliche Komik bis hin zu unendlich feiner und zarter Poesie, sowohl im Text als auch in der Musik, alles enthalten. Dass man so viele unterschiedliche Aspekte in einer Szene verbinden kann, ist ein großer Zauber der gesamten Oper. An dieser Stelle kommt er jedoch besonders deutlich zum Vorschein.